Zum Thema Syrien

Nicht veröffentlichter Leserbrief an die „Frankfurter Rundschau“
von Prof. Dr. Gert Sommer Marburg (s.a. veröffentlichter Leserbrief in der Oberhessischen Presse vom 16.3.2020):

Putins Beitrag, FR-Leitartikel 3.3.20 (Matthias Koch)
„Es ist immer wieder beeindruckend, mit welcher Selbstverständlichkeit deutsche Politiker und Journalisten Russland die Schuld an den Problemen dieser Welt geben. Anlässlich der menschenverachtenden Zustände in griechischen Flüchtlingslagern und an der griechischen Grenze ist der Leitartikel von Matthias Koch (Putins Beitrag, FR, 3.3.20) exemplarisch: Russland sei „Ursache des Übels“, „Russland setzt im Fall Syrien die Fluchtursachen“ und „Putin führt sehr ungnädig Regie“.
Bei dieser Einseitigkeit sei an einige Fakten erinnert, die dieses schlichte Feindbild reduzieren sollten.
Schon lange vor Beginn der syrischen Unruhen 2011 gab es Pläne der USA, Großbritanniens und Frankreichs, Assad zu stürzen – seine Nähe zu Russland und seine Ablehnung der Katar/Türkei-Pipeline missfiel „dem Westen“. Der „Bürgerkrieg“ begann 2011, als berechtigte Unruhen von syrischen Sicherheitskräften niedergeschlagen wurden. Doch auch die Widersacher Assads setzten bald auf Gewalt. Sie erhielten bereits 2011 Waffen, u.a. von den USA, Saudi Arabien und der Türkei. Dieser Eingriff von außen hat die folgende Katastrophe wesentlich ausgelöst. Der US-Geheimdienst DIA analysierte 2012, dass das Regime überleben werde und dass im Osten Syriens ein „salafistisches Herrschaftsgebiet“ entstehe. Der Aufstand in Syrien wurde also bereits 2012 nicht von „gemäßigten Oppositionellen“ oder „Rebellen“, sondern von radikalen Islamisten bestimmt. Der DIA ergänzte 2013, ein Sturz Assads würde zu großem Chaos und der wahrscheinlichen Machtübernahme durch Dschihadisten führen. All dies war westlichen Regierungen bekannt, aber das Ziel Regierungswechsel blieb, ihn sollten islamistische Terroristen bewirken. Erst durch das militärische Eingreifen Russlands seit September 2015 wurde das Vordringen des „Islamischen Staates“ gestoppt, so der frühere Generalinspekteur der Bundeswehr, Kujat.
Zur Situation in Idlib: Der Terrorgruppe Hayat Tahrir al-Sham (HTS) gehören laut dem britischen Independent (6.9.2017) etwa 30.000 Kämpfer an, und der Sprecher der von den USA angeführten Anti-IS-Koalition, Myles Caggins, führte im Februar 2020 aus, Idlib sei ein „Magnet“ für Terrorgruppierungen, die eine „Plage, eine Bedrohung und eine Gefahr“ für hunderttausende Syrer seien.
All die hier ausgeführten Informationen sollten bekannt sein; trotzdem werden von westlichen Meinungsführern und Mainstream-Medien die Kriegsfolgen nahezu ausschließlich der Assad-Regierung bzw. Russland zugeschrieben. Und wann haben EU-Staaten oder die NATO sich ernsthaft für eine Entwaffnung der Terroristen eingesetzt? Stattdessen wird weiter der Regierungswechsel betrieben, durch Wirtschafts- und Finanzsanktionen. Und Wiederaufbauhilfe ist nicht vorgesehen, da sie Assad nutze, so Bundesaußenminister Maas.
Zudem: Teile von Syrien sind völkerrechtswidrig besetzt, von der Türkei, den USA und Israel. Die von Syrien und Russland geforderte staatliche Souveränität und territoriale Integrität Syriens wird also bislang nicht respektiert.
In jedem Krieg gehört die normale Bevölkerung zu den Haupt-Leidtragenden.
Daher sollte ein zentrales Ziel internationaler Politik sein, gemäß der UN-Charta Konflikte gewaltfrei zu lösen.
Der Syrienkrieg ist ein Beispiel dafür, wie eine innerstaatliche Krise, die bei entsprechendem Engagement hätte einigermaßen friedlich bearbeitet werden können, durch rücksichtsloses Agieren relevanter externer Kräfte zu einem Krieg mit hunderttausenden Toten und Millionen Flüchtlingen eskalieren kann.
Am Syrienkrieg lassen sich zudem Propaganda und psychologische Kriegsführung beispielhaft demonstrieren.
Gert Sommer“
Michael Lüders: Die den Sturm ernten – Wie der Westen Syrien ins Chaos stürzte
Karin Leukefeld: Flächenbrand. Interviewserie zum Buch (Trotzfunk)
Siehe auch:
https://antikriegsbuendnismarburg.de/gegen-den-tuerkischen-einmarsch-in-nordsyrien
https://antikriegsbuendnismarburg.de/gelungene-sehr-informative-veranstaltung-mit-karin-leukefeld-am-21-2-2019-im-kerner

Offener Brief an die ARD-Tagesschau
Blutsverwandt: Kriegswille und Rassismus